"Leid- oder Leitfaden für Veränderung" von Nossart Peseschkian

Eine Geschichte als Impuls für pädagogische Teams, Einstieg in Teamsitzungen und Supervision

"Erste Szene:

Ich gehe die Straße entlang.

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.

Ich falle hinein.

Ich bin verloren... Ich bin ohne Hoffnung.

Es ist nicht meine Schuld.

Es dauert endlos, wieder herauszukommen.

 

Zweite Szene:

Ich gehe dieselbe Straße entlang.

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.

Ich tue so, als sähe ich es nicht.

Ich falle wieder hinein.

Ich kann nicht glauben, schon wieder am gleichen Ort zu sein.

Aber es ist nicht meine Schuld.

Immer noch dauert es lange, herauszukommen.

 

Dritte Szene:

Ich gehe dieselbe Straße entlang.

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.

Ich sehe es.

Ich falle immer noch hinein... aus Gewohnheit.

Meine Augen sind offen.

Ich weiß, wo ich bin.

Es ist meine eigene Schuld.

Ich komme sofort heraus.

 

Vierte Szene:

Ich gehe dieselbe Straße entlang.

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.

Ich gehe darum herum.

Fünfte Szene: Ich gehe eine andere Straße."

Raus aus der Problemtrance

Systemiker*innen sprechen von einer sogenannten Problemtrance, in die wir schnell geraten können, wenn wir uns in einer belastenden Lebensphase befinden. Das permanente Reden über das dunkle Loch im Gehsteig, der Ärger über dieses doofe Missgeschick, das uns passiert ist, die Wut über den "unfähigen" Menschen, der für dieses Loch verantwortlich ist - all das nimmt viel Platz im Alltag ein und kostet sehr viel Energie. Und das Wichtigste ist: es hindert uns daran, uns darüber Gedanken zu machen, wie wir schnellstmöglich aus diesem Loch herauskommen und was wir tun können, um nicht wieder hineinzufallen.

 

Es ist ein natürlicher, gesunder und menschlicher Impuls, sich Luft zu verschaffen. Und ja, es ist einfacher, jemand anderem die Schuld für diese missliche Lage zu geben, in der man sich befindet und zu hoffen, dass genau dieser Jemand kommt und einen aus dem Loch zieht, das Loch zuschüttet und das Problem löst. Es ist sehr viel leichter, auf die Handlung eines anderen zu warten, anstatt selbst tätig zu werden. Doch was tun, wenn dieser Jemand nicht kommt? Was tun, wenn keine Veränderung von außen eintritt? Dann sind wir auf unsere eigenen Stärken und Ressourcen angewiesen. Wir müssen uns das Loch genauer ansehen und nach möglichen Wurzeln Ausschau halten, die wir als Stufen benutzen können, um wieder herauszuklettern. Und damit wir nie wieder in solch eine Lage kommen, brauchen wir Strategien, wie wir dunkle Löcher von weitem erkennen können, um uns rechtzeitig für einen anderen Weg zu entscheiden.